Wendisches in den Toponymen des fränkischen Wendlands
Da das Frankenwendische nie den Status einer Schriftsprache erreichte und wir daher keinerlei schriftliche Überlieferung dieser vor ca. 800 Jahren ausgestorbenen Sprache haben, müssen zum Vergleich andere slawische Sprachen herangezogen werden. Die folgende Auflistung nennt eine Auswahl der häufigsten und wichtigsten wendischen Bestimmungsworte, die sich nach einem jahrhundertelangen Assimilierungs- und Adaptionsprozess in den Toponymen des fränkischen Wendlandes finden. Diese Leitbegriffe lauten in eingedeutschter Schreibweise:
Bern „Sumpf“ (zu altslawisch bara „Sumpf“, slowenisch barje „Moor“, altslawisch brn „Lehm“ bzw. „Sumpf“)
Breit, Pros, Bries etc. „Birke“ (zu sorbisch breza, polnisch brzoza, slowenisch, serbo-kroatisch, slowakisch breza, tschechisch bříza, russisch beresa)
Dam-, Dom-, Donner „Eiche“ (zu sorbisch dub, polnisch dąb, in den anderen slawischen Sprachen dub). Die nasalierte Form weist auf ein hohes Alter hin.
Dol „Tal“ (zu slowenisch dolina, sorbisch dol, russisch dol)
Färb, Vers „Weide“ (zu sorbisch wjerba, slowenisch vrba, polnisch wierzba, slowakisch vrba, serbo-kroatisch vrba)
Gai „Hain“ (zu wendisch-slawisch gaj „Hain, Eichenhain, Pflanzwald“. Gaj findet sich in vielen slawischen Sprachen).
Gauwitzen „Waldschmiede“ (zu wendisch-slawisch gawaz/kovac , tschechisch kovar, kroatisch kovac, polnisch koval „Schmied“ und tschechisch/slowakisch kov, kroatisch kovina „Metall“)
Gern „Hügelige Gegend“ (zu slowenisch gora, altslawisch gora „Berg“, gorno „bergig, hügelig“)
Glas/Glos/Glatz „großer Stein, Felsen, Felsblock, Fels, kleiner Stein, Steinchen“ (kommt nur im West- u. Ostslawischen sowie im Bulgarischen vor, z.B. polnisch głaz)
Grab/Graf/Gräf- „Hainbuche“ (zu sorbisch hrab, slowenisch gaber, polnisch grab, slowakisch hrab, kroatisch grab, russisch grab); im untersuchten Gebiet treten auch die von grabina „Buchenwald“ abgeleiteten Formen Gram-(Gramschatz), Grom-(Grombühl) und Grum-(Grumbach) auf.
Horn „Berg, Bergwald, Wald“ (zu wendisch hora „Berg, Bergwald, Wald“, slowenisch gora, dialektal hore, hora, tschechisch hora, slowakisch hornatý „bergig, gebirgig“ und hora „Berg, Wald“)
Kammer „Stein“ (zu sorbisch kamjen, slowenisch kamen, polnisch kamień sowie kamen in allen anderen slawischen Sprachen)
Kalt- „Sumpf, Morast“ (zu ukrain. kal "Sumpf, Schlamm, Schmutz", russ. kal "Kot, Unrat", poln. kaleń "Tümpel, dünner Schlamm", sorb. kał, kalnica "Dreck, Sumpf, Sumpflache", z.B. Kalte Else „Erlensumpf“)
Kulm, Kolm „Berg, Hügel“ (zu sorbisch cholm, tschechisch chlum „bewaldeter Hügel“ und polnisch chelm)
Katz, Kotz, Götz- „Geiß, Ziege“ (zu sorbisch koza und koza/kosa in allen slawischen Sprachen)
Knetz „Herr“ (zu sorbisch knjez, slowenisch knez „Fürst“, serbisch knes „Fürst“, tschechisch kněz „Geistlicher“)
Lang, Läng „feuchte Wiese“ (zu sorbisch luka, slowenisch loka, polnisch ląka, tschechisch louka). Die erhaltene nasalierte Form weist auf ein hohes Alter hin.
Les „Wald“ (zu sorbisch les, slowenisch les, polnisch las, slowakisch/tschechisch les, russisch les)
Litzen, Lutzen „Wiese, Sumpfland“ (zu wendisch-slawisch lucina „Wiese, Sumpfland“, bulgarisch lucina „Wiese“)
Loch „Au, ein Hain, feuchter Wiesenplatz“ (zu wendisch-slawisch luh, obersorbisch łuh, älter ług und niedersorbisch ług „Grassumpf, sumpfige Niederung, Wiesenbruch“. Das Appellativum łuh bzw. ług ist auch in Flurnamen der Ober- und Niederlausitz häufig belegt.
Mutz „Herr“ (zu sorbisch muzojo „Herren, Männer“, tschechisch muz)
Rüd-, Röd- „Eisenerz“ (zu ruda bzw. roda „Erz“ in allen slawischen Sprachen)
Saar „Brand“ (zu polnisch żar „Brand, Feuer, Glut, Hitze, Wärme“, tschechisch žár „Hitze“, russisch schar und dem häufigen tschechischen Ortsnamen Žďár „Brand“, der auf Deutsch mit Brand oder Saar wiedergegeben wird und einen Brandrodungsort bezeichnet.)
Schall und Schalk „Fels, Stein“ (zu wendisch-slawisch skala „Fels, Stein“ und skalka „kleiner Fels“, slowenisch skala „Fels“)
Schell(en) „Eisen“ (zu wendisch-slawisch železo „Eisen“, slowenisch sheleso, russisch sheljezo, alstslawisch sheljzo etc.)
Schlott „Gold“ (zu wendisch slawisch sloto, russisch soloto, tschechisch zlato, polnisch zloto, vgl. die polnische Währung Zloty.)
Schwan „heilig“ (zu wendisch-slawisch swante, niedersorbisch svety, polnisch swiety, tschechisch svaty; die nasalierte Form deutet auf ein hohes Alter hin.)
Setz „Rodung, Kahlschlag, Lichtung“ (zu wendisch seč „Holzeinschlag, Kahlschlag, Rodung“, „vom slavischen seç , Setz, einem Gehau im Wald, Reute.“
Sol „Salz“ (zu wendisch-slawisch sol „Salz“, polnisch und russisch sol, tschechisch sůl)
Stock „Zusammenfluss, Mündung“ (zu polnisch stok „Zusammenfluss“ und tok „Fluss, Fließgewässer“ in vielen slawischen Sprachen)
Student „kalte Quelle“ (zu tschechisch studna „kalte Quelle“, tschechisch und slowakisch studený „kalt“, bulgarisch studen „kalt“, slawisch studenъ „kalt, gekühlt“, studenьcь „Quelle, Brunnen“).
Vas „Dorf“ (zu sorbisch wjes, slowenisch vas, polnisch wieś, tschechisch ves, im Deutschen oft auch als Wis, Weiß, Waiz oder Witz wiedergegeben.)
Vogel „Holzkohle“ (zu slowenisch voglen, vogol, oglj, vogelj „Kohle“, russisch ugol, polnisch węgiel und serbo-kroatisch ugljen „Kohle“)
Volk „Wolf“ (zu sorbisch wjelk, slowenisch volk, polnisch wilk, slowakisch vlk, serbo-kroatisch vuk, tschechisch vlk, russisch volk)
Wind-/-wind/-wend (Ort, an dem slawische Winden/Wenden siedeln)
Würz „Gipfel, Anhöhe, Berg“ ( zu slowenisch vrh gore „Berggipfel“ und vrh „oben auf“, polnisch wierzcholek „Gipfel, Spitze“ und wierch „Gipfel“, sorbisch wjeršk bzw. wjerch „Gipfel“, slowenisch und serbo-kroatisch vrh „Gipfel, Spitze“, tschechisch vrch „Berg“ und vrchol(ek) „Gipfel“ sowie russisch verch верх „Berg“, verschina верши́на „Gipfel“ und verchu вверху́ „oben“)
Wust „Distel“ (zu sorbisch wost, slowenisch oset, polnisch oset)
Zell „Dorf “ (zu slowenisch selo, serbo-kroatisch selo, russisch selo)
Zeis „Eibe“ (zu sorbisch cis, slowenisch tisa, polnisch cis, slowakisch tis, kroatisch tisa)
Dazu kommen noch die Toponyme, die -itz enthalten (Vögn-itz, Scheßl-itz, Zeil-itz-heim etc.). Es handelt sich dabei um ein slawisches patronymisches Suffix, das teils an Personennamen tritt, etwa Radoviče (urspr.) „Leute des Rado (o.ä.)“, teils Einwohnernamen bildet, wie Boriče „Leute am Föhrenwald“.